„Refugio hilft uns, stark zu sein.“

Klientinnen aus Landshut erzählen

Je größer die Entfernung von großen Städten wie München ist, desto schwieriger wird die psychosoziale Versorgungslage für Geflüchtete. Refugio München stellt sich dieser Herausforderung mit zwei Außenstellen – eine in Landshut und eine in Augsburg. Zwei Klientinnen aus Landshut erzählen, welche Probleme sie zu lösen haben und was das Leben für sie einfacher machen könnte.

 

Refugio München: Ihr lebt beide in kleinen Orten in der Nähe von Landshut. Wie seid ihr dort untergebracht?

Present: Ich lebe in einer Gemeinschaftsunterkunft mit ungefähr 100 Menschen. Ich habe ein kleines Zimmer mit meinem dreijährigen Sohn zusammen. Küche, Bad und Toilette teilen wir mit vielen anderen, das ist für mich ein großes Problem, weil es nicht sehr hygienisch ist und ich eine schlimme chronische Erkrankung  habe. Mein kleiner Sohn ist im selben Dorf im Kindergarten. Für Behördengänge und viele andere Dinge, die ich erledigen muss, wie auch Arztbesuche, fahre ich mit dem Bus nach Landshut. Die Tickets muss ich selbst zahlen. Deshalb versuche ich Termine dann auf einen Tag zu legen, aber bis mittags muss ich fertig sein, um meinen Sohn vom Kindergarten abzuholen. Bei uns kommt häufig nachts die Polizei und holt Menschen zur Abschiebung. Ich fühle mich sehr unsicher in der Unterkunft und fürchte mich ständig vor der Abschiebung.

Blessing: Ich lebe in einer kleineren Unterkunft für Frauen und Kinder, ungefähr zwanzig Minuten mit dem Bus von Landshut entfernt. Vor drei Jahren sollte ich abgeschoben werden, das wurde zum Glück verhindert, denn in meiner Heimat wäre ich als lesbische Frau umgebracht worden. Ich kann nicht zurück und musste mit der Flucht mein und das Leben meiner Kinder retten. Nach dem Abschiebeversuch hatte ich einen Zusammenbruch und war ein Jahr lang in der Psychiatrie. Deshalb leben meine Kinder nicht mehr bei mir. Sie kamen damals in verschiedene Pflegefamilien und sind dort immer noch. Ich kann meine Kinder zwei Mal im Monat besuchen. Meine Kinder sind in anderen Städten untergebracht. Das war für mich sehr schwierig, weil ich die Zugtickets immer selbst bezahlen musste. Dank der Unterstützung von Refugio werden die Kosten für die Fahrten jetzt  übernommen. Nachts kann ich immer noch nicht schlafen, weil ich so große Angst vor einer Abschiebung habe. Wenigstens sind meine Kinder jetzt sicher, aber ich bin es nicht.

Habt ihr Kontakt zu anderen Menschen im Dorf?

Present: Nein, ich kenne nur ein paar der anderen Geflüchteten im Camp. Aber es gibt einen älteren Herren, der uns ehrenamtlich in der Unterkunft hilft. Er übersetzt Briefe und hat mich auch schon mal zum Arzt gefahren. Ich gehe auch oft in die Kirche, ich verstehe zwar nicht, was dort gesagt wird und kenne auch niemanden, aber es beruhigt mich.

Blessing: Bei uns gibt es auch eine Ehrenamtliche, aber sonst kenne ich außerhalb der Unterkunft nur den Betreuer der Familienhilfe, die Menschen bei Refugio und den Arzt, der mir meine Medikamente verschreibt.

Um die Anonymität unserer Klientinnen zu wahren, verwenden wir hier nicht ihre richtigen Namen, sondern Pseudonyme, die sie selbst gewählt haben:

Present (englisch für Geschenk) hat diesen Namen für das Interview ausgesucht, weil sie hofft, dass sich eines Tages ihre Wünsche erfüllen. Die Möglichkeit mit einem sicheren Aufenthalt in Deutschland zu arbeiten, wäre für sie ein Geschenk.

Blessing (englisch für Segen) hatte große Angst, dass sie es nicht schafft, sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Den Namen hat sie gewählt, weil sie sehr dankbar ist, dass ihre vier Kinder jetzt gut untergebracht sind.

Beide Klientinnen sind aus Westafrika und leben seit mehreren Jahren mit einer Duldung in Deutschland. Sie dürfen nicht arbeiten und keinen Deutschkurs besuchen. Sie wurden durch Ereignisse im Heimatland, aber auch auf der Flucht traumatisiert und die Psychotherapie bei Refugio München in Landshut hilft ihnen, ihre psychischen Belastungen zu überwinden.

Wer übernimmt die Kosten für die Medikamente?

Blessing: Das mit den Medikamenten ist oft schwierig, weil ich keine Krankenkasse habe und alle drei Monate den Behandlungsschein vom Sozialamt brauche. Einmal habe ich den verloren, aber dringend meine Medikamente gebraucht. Der Arzt hat sie mir dann auch ohne Schein gegeben, er kennt mich ja, aber dann wollte das Landratsamt die Kosten nicht übernehmen, weil ich ja keinen Schein vorgelegt habe. So viel Geld habe ich aber nicht. Refugio hilft mir jetzt, dass das Amt doch die Kosten übernimmt.

Present: Ich habe auch keine Krankenkassenkarte und muss mir immer den Behandlungsschein holen. Mein Problem ist, dass ich wegen meiner seltenen Erkrankung oft zu einem Spezialisten nach München muss, der Behandlungsschein aber nur für Landshut gilt. Nach meinem letzten Besuch beim Spezialisten hat das Landratsamt in Landshut gesagt, dass ich die Rechnung jetzt selbst zahlen muss. Das kann ich mir aber nicht leisten.

Julia Kuhlmey von Refugio München in Landshut erklärt:
Eigentlich bekommen Asylsuchende nach 18 Monaten eine Krankenkassenkarte. Aber bei uns ist es leider oft so, dass gerade die Menschen aus Westafrika auch nach Jahren noch keine bekommen. Wir versuchen jetzt im Rahmen unserer Asylsozialberatung wenigstens, dass die Rechnungen für die von ihnen geschilderten Fälle übernommen werden. Langfristig unterstützen wir unsere Klient*innen dabei, ihre Rechtsansprüche gegenüber dem Sozialamt geltend zu machen.


 

Blessing und Present auf dem Weg zu Refugio München in Landshut.


 

Wie seid ihr zu Refugio München in Landshut gekommen?

Blessing: Mich hat der Familienhelfer vor fünf Monaten bei Refugio angemeldet. Hier kann ich von meiner Vergangenheit erzählen, das hilft mir sehr. Ich bekomme Rat, wie ich mit Stress umgehen und mir in schwierigen Situationen selbst helfen kann. Ich bin schon ruhiger geworden. In der Frauengruppe reden wir über Themen, über die wir mit sonst niemandem sprechen können und wir merken aber auch, wenn es für Eine von uns zu schwer wird. Dann machen wir etwas anderes. Bevor ich zu Refugio gekommen bin, war ich immer sehr einsam, in der Gruppe kann ich mich öffnen und erzählen, wir helfen uns dann gegenseitig und geben uns Rat.

Present: Refugio war der erste Ort wo ich Ruhe gefunden habe. Hier kann ich über mein Probleme sprechen und auch mal weinen. In der Frauengruppe teilen wir viel, haben Spaß, kochen zusammen und das Zusammensein tut einfach gut, weil wir dieselben Probleme haben und darüber sprechen können. Wir haben alle sehr schreckliche Dinge erlebt und außerdem ist die Angst vor Abschiebung für uns alle sehr real. Aber in der Gruppe können wir den Stress hinter uns lassen. Dort habe ich zum ersten Mal in Deutschland Freundinnen gefunden. Wenn ich von Refugio komme, geht es mir gut und ich fühle mich erholt. Ich habe zum ersten Mal in Deutschland zu anderen Menschen Vertrauen.

Was wünscht ihr euch?

Blessing: Ich hoffe, dass man uns die Gelegenheit gibt, zu lernen und zu arbeiten. Ich möchte stark und den Kindern ein gutes Beispiel sein. Und für meine Kinder wünsche ich mir, dass sie ihr Leben in die Hand nehmen können, sie sollen leben und lernen können. Ich will nicht die ganze Zeit warten, ich will arbeiten und ein gutes Vorbild sein. Wir wünschen uns die Chance, hier zu leben.

Present: Ich wünsche mir, dass die Menschen uns zuhören und unsere Probleme besser verstehen. Ich würde gerne aus der Unterkunft ausziehen und ein Zuhause für meinen Sohn haben. Ich möchte arbeiten und aus eigener Kraft hier leben können und nicht vom Geld anderer leben müssen.
Unsere Kinder sind bereits hier aufgewachsen, sie würden sich in Afrika gar nicht zurecht finden. Wenn die Menschen das hier lesen, hoffe ich, dass sie ihr Herz öffnen. Ich habe so viel durchgemacht und das darf nicht umsonst gewesen sein. Der Stress und das Trauma sind immer da, aber Refugio hilft uns, stark zu sein. Ich hoffe ich werde mich irgendwann immer so sicher und gut aufgehoben fühlen wie bei Refugio, wo ich alles erzählen kann.