Fachbereich Therapie und Beratung für Erwachsene
Jahresbericht 2023
Auch bei den Erwachsenen stellen wir Ihnen hier ein paar unserer Klient*innen vor. Zu den psychischen Belastungen kommen oft rechtliche Probleme oder Sorgen um die Familie.
Schüchtern sitzt die junge Frau auf einem Stuhl im Büro von Refugio München in der Rosenheimer Straße. Sie sagt wenig, schaut zu Boden. Sie hat sich auf ihre Hände gesetzt. Warum? Das verstehen die beiden Mitarbeiterinnen von Refugio München erst, als die Frau ein Glas Wasser entgegennimmt. Ihre Hände zittern so stark, dass sie es kaum ruhig zum Mund führen kann. Sie trinkt schnell. Als sie das Glas abgestellt hat, verbirgt sie ihre Hände gleich wieder unter dem Tisch. Haben die anderen im Raum ihr Zittern bemerkt?
„Ich wusste sofort, dass die Frau dringend Hilfe braucht“, erinnert sich Katrin Kammerlander-Straub. Sie tauscht einen kurzen Blick mit ihrer Kollegin Andrea Gebhardt aus. Als Gebhardt die Frau fragt, warum sie zu Refugio München gekommen ist, fängt sie an zu weinen. Viele Taschentücher sind nötig, um die Tränen zu trocknen. Nach einem längeren Gespräch beenden die beiden das Erstgespräch. Die Frau bekommt einen Therapieplatz.
Zweimal im Jahr ist die Anmeldung zu einem Therapieplatz möglich. Nach einer Vorauswahl finden dann die Erstgespräche statt, bei denen die Kolleg*innen entscheiden, welche Menschen einen Therapieplatz erhalten. Keine leichte Aufgabe, denn es gibt weiterhin deutlich mehr Anfragen als Plätze. Der Bedarf für kultursensible Therapie mit Sprachmittler*in ist hoch und die Kapazitäten zu gering.
Zu den ersten Therapiesitzungen bei Katrin Kammerlander-Straub wird die Frau von ihrem elfjährigen Sohn begleitet. „Sie hat immer wieder dissoziiert und hätte den Weg zu uns so nicht sicher gefunden“, erinnert sich ihre Therapeutin. Als der Sohn einmal nicht kann, holt Kammerlander-Straub sie an der S-Bahn-Station ab. Dies wäre in einer ambulanten Praxis kaum möglich, doch bei Refugio München sind solche Dinge eingeplant.
Wie bei fast all unseren Klient*innen sind bei der Frau aus Afghanistan zunächst viele Fragen erstmal drängender als die Therapie. „Wenn Probleme im Asylverfahren oder mit Behörden die Menschen belasten, können wir gar nicht zu den Traumata vordringen“, sagt Kammerlander-Straub. Die Frau aus Afghanistan hat auf der Flucht ihre Mutter verloren. Sie sucht nach ihr, hat aber keinen Hinweis auf ihren Verbleib und macht sich große Sorgen. Das belastet sie sehr. Daneben gibt es Probleme mit der Krankenkasse. Einige Leistungen der Frau sollen mehrfach abgerechnet worden seien. Die Frau soll betrogen haben. Sie habe gar nichts erhalten, beteuert sie. Sozialpädagogin Gebhardt telefoniert regelmäßig mit der Krankenkasse und der Ausländerbehörde. Schließlich findet sie heraus: Es lag eine Verwechslung vor. Die Frau kann nichts dafür. Aber die Vorwürfe haben sie belastet.
Durch die Arbeit im Team mit einer Sozialpädagogin kommt Kammerlander-Straub therapeutisch schneller voran: „Wenn wir die ersten Alltags-Probleme gelöst bekommen, ist das der Türöffner für meine therapeutische Arbeit.“ Als das Problem mit der Krankenkasse gelöst ist, fasst die Frau Vertrauen zu ihrer Therapeutin und öffnet sich. Nach einigen Monaten schafft sie den Weg zur Therapie allein.
Ein anderer Klient aus dem Yemen ist schwer traumatisiert. Er wurde gefoltert. Davon zeugen Narben an Händen und Armen. Auf einer regierungskritischen Demonstration wurde auf ihn geschossen. Mehrere Menschen, die neben ihm demonstrierten, starben. Er überlebte. Warum? Er macht sich Vorwürfe. Auf die Therapie kann er sich kaum einlassen, weil er sich große Sorgen um seine Familie macht, die immer noch im Yemen lebt. Er hat den Familiennachzug beantragt. Das Verfahren ist kompliziert und langwierig. Natürlich erhält er Unterstützung bei Refugio München.
Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre machen Katrin Kammerlander-Straub Sorgen. Sie nimmt vermehrt Abschiebungen wahr. Ihre Klient*innen erleben rassistische Übergriffe. Diese belasten die Menschen sehr. Aber ihr Job ist auch voller schöner Momente. Der Mann aus dem Yemen zum Beispiel kann seine Familie nach Deutschland holen. Der Familiennachzug war erfolgreich. Die Frau aus Afghanistan hat ihre verloren geglaubte Mutter wiedergefunden. Ein kleines Wunder. Und das Ergebnis guter Teamarbeit.