Forschung
Jahresbericht 2023
Über drei Jahre hat die Forschungsabteilung von Refugio München einen kontext-sensibel angepassten Behandlungsansatz gegen Schlafstörungen wissenschaftlich untersucht. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.
„Während der Flucht konnte ich oft nachts nicht schlafen, weil wir um diese Zeit weitergehen oder uns verstecken mussten. In meiner Zeit in Serbien hatte ich dann viele Alpträume. Ich habe nachts oft laut geschrien. Wir waren viele im Lager und ich durfte nicht stören oder auffallen. Ich habe deshalb alles gemacht, um wach zu bleiben. Stattdessen habe ich tagsüber ein paar Stunden versucht zu schlafen. Jetzt im Camp habe ich nichts zu tun. Ich darf nicht arbeiten oder zur Schule gehen. Ich bin den ganzen Tag im Bett. Nach dem Frühstück nehme ich zwei Schlaftabletten, um etwas zu schlafen und nicht den ganzen Tag zu grübeln. Nachts schlafe ich bis ca. 4:30Uhr nicht.“
Schlafstörungen, wie sie dieser junge Mann aus Afghanistan beschreibt, sind ein Dauerthema in den Therapien bei Refugio München. Fast alle (96%) unserer Einzeltherapie-Klient*innen haben Schlafstörungen, wobei 83% den Schweregrad einer mittleren bis schweren klinisch relevanten Insomnie (langanhaltende Schlafstörung) erfüllen. Gleichzeitig sind Schlafprobleme häufig sehr hartnäckig zu behandeln, bleiben selbst nach sonst erfolgreicher Therapie als „Restsymptome“ bestehen und belasten die Betroffenen im Alltag.
Im Allgemeinen ist Psychotherapie bei Ein- und Durchschlafstörungen oder Alpträumen das Mittel der Wahl für eine erfolgreiche Behandlung. Gleichzeitig gibt es für Personen mit Fluchterfahrung einige besondere Herausforderungen, für die bestehende Schlafbehandlungen zu kurz greifen. Besonders herausfordernd sind beispielsweise die Unterbringung in großen Sammelunterkünften; mehrfache traumatische Erfahrungen, die häufig zu Alpträumen führen und aktuelle Belastungen wie eine unsichere Bleibeperspektive oder die Sorge um die Familie im Heimatland. Diese Belastungen lassen Betroffene nachts stundenlang grübelnd wach liegen. Teilweise gibt es auch unterschiedliche kulturelle Deutungen für Symptome, wie zum Beispiel Alpträume als Dschinns, also Geistergestalten, die nachts kommen. Oder Träume als Vorhersage für die Zukunft.
Um auch Personen mit Fluchterfahrung eine passende Behandlung gegen ihre Schlafstörungen anbieten zu können, haben wir bei Refugio München das Konzept STARS entwickelt. Als Gruppenkonzept kombiniert es bestehende Ansätze und erweitert sie um eine kontext-sensible Perspektive. In zehn Sitzungen werden den Teilnehmenden Handlungsstrategien vermittelt, wie zum Beispiel die Rückkehr zu einem gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus, Umgang mit Alpträumen oder Umgang mit nächtlichem Grübeln. Das Manual ist im Klett Verlag veröffentlicht (Dumser et al., 2023) und eine Minimalversion kann auf Englisch von der Refugio München Website heruntergeladen werden.
Um die Durchführbarkeit und Wirksamkeit des Konzepts zu prüfen, hat das Refugio München Forschungsteam von April 2021 bis Juni 2024 eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 47 dari-sprachige Männer aus Afghanistan zufällig zwei Untersuchungsbedingungen zugeteilt. Eine Hälfte erhielt direkt nach Aufnahme die 10-wöchige Behandlung mit STARS, die zweite Hälfte musste drei Monate warten und erhielt erst zeitversetzt die Behandlung. Vor und nach der Behandlung wurde die Schlafstörungssymptomatik und weitere Symptome erfasst.
Die Teilnehmer der Behandlungsgruppe zeigten sich sehr zufrieden. Nur 4 der 23 Personen, die direkt mit der Behandlung starteten, beendeten die Teilnahme vorzeitig. Die Ergebnisse zur Wirksamkeit unterschieden sich jedoch stark von Person zu Person. Im Schnitt verbesserten sich die Schlafstörungen der Teilnehmer. Detaillierte Analysen werden wir demnächst publizieren.
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass STARS ein hilfreicher erster Schritt zur psychischen Stabilisierung sein kann. Bei vielen Betroffenen bleibt eine umfassende Psychotherapie jedoch notwendig. Aktuell laufen unsere wissenschaftlichen Bemühungen weiter, wie man das Konzept noch effektiver gestalten kann.
Mehr zum STARS Gruppenangebot finden Sie hier: