„Am schlimmsten ist, dass man mir nicht glaubt“
Der weite Weg einer unserer Klientinnen aus Afghanistan ins Asylverfahren in Deutschland.
Ihre Hände kneten verzweifelt den gelben Therapieball. Bahar, diese starke junge Frau aus Afghanistan hat für einen Augenblick die Fassung verloren, schluchzt, ringt nach Atem und ihre Finger drücken die Stacheln des Balls in ihre Handflächen. Bei der Frage nach ihrer Familie geht ihr Blick schutzsuchend zur Therapeutin von Refugio München.
„Wir sind eine Kriegsgeneration“, sagt Bahar, „jede von uns trägt tiefe Wunden. Denn was wir tun, gefällt vielen Leuten nicht, weil sie nicht wollen, dass Frauen etwas erreichen, was sie zu Vorbildern für andere Frauen und Mädchen machen könnte.“ Denen allen hatte sie es an einem Tag im August 2015 gezeigt, als sie tatsächlich auf einem der höchsten Berge Afghanistans stand und vor Glück weinte. „Wenn wir Freiheit wollen, dann können wir das auch schaffen“, hat sie damals auf dem Berg gedacht. „Und ja, damals hatte ich das Gefühl, ich bin frei“. Welch ein Irrtum.
Eigentlich ist Bahar, was zu deutsch Frühling bedeutet, nicht ihr richtiger Name. Den Namen, den ihr Vater ihr gegeben hat, mag sie nicht, weil der Patriarch der Familie bestimmt hatte, dass sie so heißen sollte. Ein Mann in uralten Traditionen verhaftet, streng religiös und ultrafanatischer Anhänger der Taliban. Bahar wird sie von ihrer Mutter genannt.
An so einer Stelle ihrer Lebensgeschichte kann sie dann für eine Zeit lang die Fassung verlieren und braucht den Therapieball.
Als sie sieben war, wurde ihre ältere Schwester im Alter von 13 Jahren verheiratet. Bahar erinnert sich, dass die Schwester den ganzen Tag über geweint hatte. Ob diese Tränen sie geprägt haben? Bahar zuckt mit den Schultern. Vielleicht. Wahrscheinlich. „Es war schlimm, sehr schmerzhaft.“
Allen Widrigkeiten zum Trotz und mit der Unterstützung der Mutter schafft sie es, einen eigenen Weg zu gehen. Sie macht Abitur, schreibt sich in die Universität für Politik und Journalismus ein. Viel entscheidender für ihren Lebensweg ist aber etwas anderes: sie lernt heimlich einen Kampfsport – Taekwondo. Ein Mittel der Selbstbehauptung in einer Gesellschaft, die trotz der Vertreibung der Gotteskrieger sich tatsächlich kaum verändert hatte, jedenfalls nicht in ihrem Umfeld. Die religiös fanatischen Männer aus ihrer Familie waren erst abgetaucht, einige sogar nach Pakistan geflohen, dann aber nach und nach wieder zurückgekehrt und befanden sich in einer Art Wartestand bis zur Rückkehr der Taliban.
Bahar führte ein Doppelleben:
Die Tochter, die brav studierte, dies aber vor der Umgebung verbarg; und die junge Frau, die Tag für Tag ihren Kampfsport trainierte und es mit Talent und Ausdauer bis in die Nationalmannschaft brachte. 2014 trat sie für Afghanistan bei den Asienspielen in Südkorea an. Aber das durfte niemand außerhalb des Hauses wissen. Ohne die schützende Hand der Mutter, die nicht wollte, dass ihre dritte Tochter das Schicksal der älteren Töchter oder gar ihr eigenes durchmachte, hätte Bahar nicht das erreicht, was sie schon geschafft hatte.
2018 war es damit vorbei. Ein Cousin hatte zufällig ein Fernsehinterview mit ihr gesehen und dem Familienpatriarchen davon erzählt. Von da an lebt sie in Todesgefahr. Bahar spricht mit Fremden nicht darüber, was alles danach passierte. Auch die Flucht zu Fuß und per Bus und LKW bis in die Türkei, dann mit dem Schlauchboot nach Griechenland, der Aufenthalt im berüchtigten Lager Moria auf Lesbos und schließlich der Weg in das Ankerzentrum für Geflüchtete in Fürstenfeldbruck – alles ein Tabu. Sie will nicht darüber sprechen. Die Erinnerungen sind zu grausam und es ist ganz typisch für traumatisierte Menschen, dass sie über die Auslöser ihrer Traumatisierung nicht sprechen können. Auch in der Anhörung zum Asylverfahren können sie das häufig nicht.
Das Bundesamt glaubt Bahar nicht.
Das Bundesamt hat Bahars Antrag auf Asyl abgelehnt. „Es spricht (daher) nichts dafür, dass sich die Antragstellerin auf tatsächlich Erlebtes bezieht.“ So steht es im Bescheid. Es heißt: man glaubt Bahar nicht, dass ihr Leben in Afghanistan bedroht war und ist.
Erst die Therapie bei Refugio München hat ihr geholfen, ihre Geschichte zu verarbeiten und dann auch zu erzählen. Jetzt wird es darum gehen, dass ihr das Verwaltungsgericht, vor dem sie gegen ihre Ablehnung geklagt hat, glaubt – ein weiterer, zermürbender Prozess.
Und dann fügt sie noch hinzu, die einzige Organisation, die sie als Mensch angenommen habe, sei Refugio. „Alles alleine zu ertragen ist unmöglich. Das hätte mich umgebracht.“