Früher Refugio München Kunstwerkstatt – heute Künstler in München
Was hat die Refugio München Kunstwerkstatt bei einem ihrer ehemaligen Teilnehmer bewirkt? Mit dieser Frage im Kopf besuchten wir – das sind Heike Martin und Paul Kuhlmann von Refugio München – den Künstler Mohammed Al Kadri und wurden überrascht.
„Ich bin nicht der Flüchtling, den ihr sucht“, sagt Mo gleich zu Beginn unseres Gesprächs und zwinkert uns zu. Wir sitzen in seinem Künstleratelier in der Maxvorstand. Skizzen liegen auf dem Fußboden verteilt. Darauf zu sehen sind abstrakt gezeichnete Menschen. „Ich konnte schon längst zeichnen, als ich damals in die Kunstwerkstatt kam.“
Wir hatten Mo schon vor über zehn Jahren im Report vorgestellt. Jetzt wollten wir ihn treffen und darüber berichten, was aus ihm geworden ist. Und nun sitzt uns ein junger Mann gegenüber, der in der Münchner Künstler*innen-Szene Wurzeln geschlagen hat und die Kreativität der Stadt reicher macht.
Mos Geschichte geht so: Anfang der 2000er kam er mit seiner Mutter und seinen drei kleinen Geschwistern aus Syrien nach Deutschland. Nicht auf einem Boot über das Mittelmeer, sondern mit dem Flugzeug, aus Damaskus – so war das zu dieser Zeit noch üblich. „Wir waren damals gezwungen, unser Land zu verlassen.“, erzählt Mo. Sein Vater ist ein mehrfach ausgezeichneter syrischer Schriftsteller, der sich durch seine Texte und Meinungsäußerungen Feinde im Assad Regime machte und deshalb fliehen musste. Als Mo in München ankam, lebte sein Vater schon zwei Jahre lang in Deutschland und hatte begonnen seiner nachziehenden Familie eine neue Existenz aufzubauen. Damit hatte Mo sicher bessere Startbedingungen in Deutschland als die meisten anderen Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung, die wir jede Woche in der Refugio Kunstwerkstatt betreuen.
Aber auch Mo hat zu Refugio München gefunden. Der Künstler überlegt: „Ich bin dort irgendwie reingestolpert“, erinnert er sich. Ein Bekannter hatte ihn ins Eine Welt Haus in der Schwanthaler Straße mitgenommen. Dort hatte die Refugio Kunstwerkstatt in den 2000er Jahren einen Raum, den Mo bei seinem Besuch entdeckt. In diesem Raum konnten geflüchtete Kinder und Jugendliche, die nach ihrer Ankunft in Deutschland meist in tristen Gemeinschaftsunterkünften leben, ihren Alltag vergessen und kreativ sein. So ist es heute noch, nur dass wir inzwischen eigene Räume haben und für die jüngeren Kinder direkt in die Unterkünfte gehen.
„Ich habe die meiste Zeit allein für mich gemalt,“ sagt Mo heute. „Aber es war trotzdem gut, in der Gruppe und mit anderen Menschen zusammen zu sein.“
Auch wenn oder vielleicht gerade weil der Jugendliche zu diesem Zeitpunkt künstlerisch schon sehr weit war, fühlte er sich in der Refugio Kunstwerkstatt gleich sehr wohl: „Auf einmal war ich von Leuten umgeben, die mich mochten, die mich fördern und unterstützen wollten. Das war auf Augenhöhe.“
Besonders gut verstand sich Mo mit Margit Papamokus, der Gründerin der Refugio Kunstwerkstatt. Schnell erkannte Margit Mos Talent. Die beiden freundeten sich an und Margit nahm den Jugendlichen mit auf Ausstellungen, wie in die Pinakothek der Moderne. Sie ist selbst Künstlerin und machte Mo mit vielen anderen Kreativen bekannt. Als Mo später ein Studium an der Kunsthochschule begann, unterstützte sie ihn bei der Bewerbung um ein Stipendium bei der Hans-Böckler Stiftung, das er auch bekam und sich damit das Studium finanzieren konnte. In der Folge blieb Mo der Refugio Kunstwerkstatt verbunden. Neben dem anspruchsvollen Studium übernahm er die Leitung einer Kunstgruppe und brachte in der zur Geflüchtetenunterkunft umfunktionierten Bayernkaserne Kindern das Zeichnen bei. „Ich habe ihnen gezeigt, wie man ein Auge zeichnet. So wie ich es damals selbst in Syrien gelernt hatte,“ erinnert er sich und lächelt.
Nach einer Stunde Gespräch mit Mo verlassen wir wieder sein Atelier. Beim Rausgehen überlegen wir, wer in dieser Geschichte nun eigentlich von wem profitiert hat: Mo von der Refugio Kunstwerkstatt? Die Refugio Kunstwerkstatt von Mo? Auf jeden Fall die Kinder in der Bayernkaserne von der Kunstgruppe! Am Ende gewinnen doch alle.
Mo verkauft heute seine Bilder bei Ausstellungen und auf Kunstplattformen. Daneben schreibt er gerade an seiner Autobiografie. Den Kontakt zu Refugio München pflegt er weiterhin. Mainstream ist er nicht, aber ein Mensch, den wir gerne gefunden haben.