Vater und Tochter

Warum Psychotherapie für viele Menschen mit Fluchterfahrung so wichtig ist

Leider ist die Versorgungslage für Geflüchtete, die Psychotherapie oder psychiatrische Behandlung brauchen, katastrophal. Die Geschichte eines Vaters und seiner Tochter, die wir bei Refugio München in Behandlung haben, ist ein Beispiel wie wichtig, aber auch wie wirksam die Hilfe psychosozialer Zentren für Geflüchtete ist.

Ein Junge lernt in Sierra Leone ein Mädchen kennen. Sie lächeln sich an, er traut sich und spricht sie an, sie lernen sich kennen und verlieben sich. Einige Monate später ist sie schwanger und sie heiraten. So vergehen ein paar Jahre, es wird noch ein kleiner Junge geboren und der Vater kümmert sich in Sierra Leone um die Kleinfamilie. Als er erfährt, dass die Familien der Großeltern planen, seine Tochter zu beschneiden, entscheidet er, dies auf jeden Fall zu verhindern. Die Familie – Vater, Mutter und die beiden Kindern – flieht vor dem grausamen Ritual.

Sie schlagen sich durch bis nach Libyen und hoffen auf ein neues Leben ohne Angst um die Tochter, doch es kommt anders: Auf dem Weg zum Einkaufen hält plötzlich ein großes schwarzes Auto neben der Familie und Mutter und Sohn werden hineingezehrt. Der Vater kann ihnen nicht helfen und bleibt mit seiner Tochter und einer Verletzung zurück. Was mit ihnen geschah, ist bis heute ein Rätsel und verfolgt ihn immer noch in seinen Träumen.

Libyen war kein neues Leben, sondern ein neuer Alptraum. Vater und Tochter schaffen es verletzt und traumatisiert nach Deutschland.

Er sitzt bei Refugio München im Zimmer seiner Therapeutin und kämpft mit den Tränen als er dies erzählt. Wenn seine Tochter (mittlerweile 8 Jahre alt) ihn nach ihrer Mutter fragt, verspricht er ihr, dass sie wiederkommt. Glauben kann er es aber nicht wirklich. Die Gedanken an sie und seinen kleinen Sohn überkommen ihn jeden Tag. Er versucht sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Versucht ein guter Vater zu sein, aber merkt, dass er das nicht so gut hinbekommt wie seine Frau früher. Er kann sie nicht ersetzen. Er besucht selbst die Schule, kann sich nicht konzentrieren, schläft im Unterricht oft ein. Die Lehrer machen Druck. Er reagiert immer wieder aggressiv und weiß sich nicht zu helfen. Es ist ein großer Schritt für ihn, sich Hilfe zu suchen.


 

Der Deutschlandfunk berichtet: Es fehlt an Therapieplätzen, an der Finanzierung von psychosozialen Zentren, an der Kostenerstattung für Sprachmittlung und nicht zuletzt haben die Asylrechtsverschärfung die Anerkennung von psychischen Erkrankungen von Geflüchteten im Asylverfahren unendlich schwer gemacht. Als Folge droht die Abschiebung und die Therapie – wenn ein Platz gefunden wurde! – scheitert an der nötigen Stabilität und Sicherheit, die traumatisierte Menschen dringend brauchen, um gesund zu werden.


 

Er kommt jetzt regelmäßig zu den Therapiesitzungen bei Refugio München, wo er sich immer weiter öffnet, auch wenn es ihm schwerfällt. Er fragt sich, ob er Schuld hat an dem was passiert ist? Er fragt sich, was aus ihm und seiner Tochter werden wird? Er hat einen negativen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen. Er erzählt, dass er in dieser Nacht einen Tisch zerschlagen hat in seiner Verzweiflung und Angst vor einer Abschiebung. Er bemüht sich in der Schule. Die Therapeutin nimmt Kontakt zur Schulsozialarbeiterin auf und erklärt die Situation. Die Lehrer verstehen ihn jetzt besser und unterstützen ihn, um in der Schule besser bei der Sache zu bleiben.

Auch die Tochter leidet unter dem Verlust der Mutter und der Situation einer ungewissen Gegenwart und Zukunft. Sie bringt einen Brief aus der Nachmittagsbetreuung mit. Darin steht, dass sie beißt und schlägt und für zwei Wochen ausgeschlossen werden soll. Wieder wird das Hilfssystem zusammengetrommelt. Die Tochter kann auch ein Therapieangebot bei Refugio München wahrnehmen. Mittwochs malt sie jetzt in der Gemeinschaftsunterkunft in der Refugio Kunstwerkstatt und beginnt mit einer Einzeltherapie. Arzttermine werden von den Sozialarbeiter*innen vereinbart, um auch medikamentös zu helfen. Das Team kommt zusammen und es sind deutliche Veränderungen zu bemerken: Weniger Beschwerden aus der Schule. Mehr Freude Zuhause und die Therapiesitzungen enden immer wieder mit einem Lächeln statt Tränen in den Augen.