Mental Health Center Ukraine (MHCU)
Jahresbericht 2022
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat auch uns bei Refugio München geschockt. Wir haben schnell entschieden, den Geflüchteten aus der Ukraine mit speziell auf sie ausgerichteten psychosozialen Angeboten zu helfen.
Aufgrund unserer über 25jährigen Expertise war klar, dass vor allem stabilisierende psychosoziale Ersthilfe für die Menschen aus der Ukraine notwendig ist. Neben der Alltagsarbeit haben diese Aufgabe zunächst der Therapiebereich, das Elterntraining sowie die Refugio Kunstwerkstatt sofort nach Beginn des Krieges übernommen. Durch den schnellen Beschluss des Münchner Stadtrats im April 2022, Unterstützungsangebote für Geflüchtete aus der Ukraine zu finanzieren, konnten wir am 1. Mai 2022 das Refugio München Mental Health Center Ukraine (MHCU) eröffnen. So waren wir in der Lage, das psychosoziale First-Aid-Angebot für Geflüchtete aus der Ukraine mit einem eigenen Team zu etablieren und so die Psychotherapie sowie die pädagogischen Angebote für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern wieder entlasten.
Dank der guten Netzwerkarbeit konnten wir direkt ab Mai neue Räumlichkeiten in der Franziskanerstraße anmieten und mit Hilfe des Kulturzentrums Gorod ukrainisch/russisch-sprachige Psychologinnen einstellen. So entstand innerhalb von vier Wochen ein 7-köpfiges Team mit eigenen Räumlichkeiten und hat sofort ein mehrsprachiges Arbeitssystem aufgebaut sowie eine stabilisierende Angebotsreihe entwickelt. Dieser rasante Beginn war durch die Expertise und Unterstützung aller Kolleg*innen von Refugio München möglich.
Schnell war klar, dass sich die Alltagsarbeit des MHCU von der psychotherapeutischen Arbeit des Beratungs- und Behandlungszentrums am Rosenheimer Platz unterscheidet: Zum einen hatten wir ein Team mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen, aber keiner gemeinsamen Teamsprache. Dies hat die direkte Klient*innenarbeit enorm erleichtert und die Arbeitssysteme und -weisen wurden darauf angepasst sowie Austauschformate innerhalb des Teams gedolmetscht. Zum anderen unterscheidet sich das MHCU als First-Aid Angebot deutlich, indem es sich auf kurzfristige, wenige psychologische Einzelgesprächstermine sowie stabilisierende Gruppenangebote für Kinder, Eltern oder Jugendliche konzentriert – im Gegensatz zu den langfristigen Psychotherapieangeboten für schwer traumatisierte Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern. Im MHCU werden Klient*innen dabei unterstützt, ihre Ressourcen zu (re-)aktivieren, akute Belastungs- oder Anpassungsstörungen abzubauen und neue Perspektiven zu entwickeln. Für viele Klient*innen bestand zu Beginn des Krieges die Belastung vor allem in der Trennung von oder Trauer um Väter oder Ehemänner, dem Erinnern an die ersten Bombenangriffe oder der Ungewissheit über die eigene Zukunft und Unsicherheit im neuen Umfeld in Deutschland.
Mittlerweile ist das Team durch eine weitere Sozialpädagogin und eine ukrainische Psychologin gewachsen. Es hat sich gezeigt, dass die stabilisierenden muttersprachlichen Angebote sehr passend für Geflüchtete aus der Ukraine sind. Die aufenthaltsrechtliche Sicherheit und die damit verbundenen Arbeits- und Integrationsmöglichkeiten sowie die private Wohnsitznahme erleichtern den Aufbau eines stabilen Rahmens und können Stress- und Belastungsreaktionen verringern. Diese Grundvoraussetzungen können die psychosoziale Intervention unterstützen, sodass Menschen schneller genesen.
Ein stabilisierendes Angebot kann auch für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern eine Erstunterstützung darstellen. Aber deren häufig unsicherer Aufenthaltsstatus, längere Fluchtrouten, Unterbringung in Unterkünften mit geringer Privatsphäre und hoher Lautstärke, fehlende Arbeitsgenehmigungen oder Alltagsstrukturen, keine medizinische Regelversorgung (u.a. fehlende Krankenversicherung in den ersten 18 Monaten, keine Sprachmittlung sowie mangelhafte Versorgungsstruktur) stellen einen enorm belastenden externen Faktor dar. Dies erschwert das Genesen trotz stabilisierender psychosozialer Hilfsangebote.
Es zeigt sich somit weiterhin: psychosoziale Angebote und Zugänge zur Versorgungsstruktur sind für alle Geflüchteten dringend notwendig und sollten ausgebaut sowie externe Faktoren, die zur Genesung beitragen können, verbessert werden.